Lowtech für High Knowledge | Rubrik Innovativ
Ausgabe 2025 | Text: Christina Mothwurf | Fotos: © David Schreyer
Budgetdruck und Pragmatismus: Beides sind oft Begleiter in der Umsetzung von Bildungsbauten – zum Leidwesen aller Beteiligten. Wie es gelingen kann, aus einem Schulbau einen Ort zu machen, der Gemeinschaft und Nachhaltigkeit lebt und neue Bildungsräume eröffnet, zeigt die Volksschule Graz-Puntigam. Mitten im am schnellsten wachsenden Bezirk der steirischen Landeshauptstadt ist ein Gebäude entstanden, das so viel mehr ist als ein Lernort. Es ist ein Raum fürs Aufwachsen, ein Haus für Neugierde, ein Campus, der zeigt: Schule kann anders. Und schöner.
Vom Altbestand zum Bildungscampus
Lange war der bestehende Volksschulbau ein Flickwerk: pavillonartig, verwinkelt, kaum noch den Anforderungen des Alltags gewachsen. Die steigende Schüler:innenzahl – bis zu 500 Kinder können dort ihre Ideen sprießen lassen – machte eine grundlegende Neuplanung notwendig. Statt zu erweitern, entschied man sich für einen mutigen Schnitt: Der Altbestand ist einem kompakten Neubau in Form eines dreigeschoßigen Baukörpers gewichen – mit viel Raum für Gartenflächen, Bewegung und Licht. Das Architekturbüro Franz&Sue realisierte den Neubau in Zusammenarbeit mit der Stadt Graz und zahlreichen Fachplaner:innen. Ergebnis ist ein kooperativer Bildungscampus, der sowohl die Volksschule als auch eine Neue Mittelschule beheimatet. Schon wenn man sich der Volksschule nähert, zeigt sich die Offenheit an jeder Ecke. Gleichzeitig wirkt der Bau wunderbar in die Umgebung integriert. Der neue Haupteingang an der Ecke Gradnerstraße/Nippelgasse wurde als großzügiger, einladender Vorplatz gestaltet mit überdachten Sitznischen aus Holz, die Stützen kaschieren und Aufenthaltsqualität bieten. Eine Ziegelauskragung gibt dem Ensemble eine klare Adresse und verankert das Haus sichtbar im Stadtteil.
Schule erleben
Wer das Gebäude betritt, spürt sofort die atmosphärische Wirkung der Räume. Die Eingangshalle öffnet sich zur zweigeschoßigen Zentralgarderobe, von der aus der Blick bis ans hintere Ende des Hauses reicht. Transparenz, Tageslicht und Übersicht – alles keine Selbstverständlichkeit in einem öffentlichen Bildungsbau. Diese Leichtigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch das Gebäude. An die Garderobe schließen sich Aula und Speisesaal an, nur getrennt durch einen mobilen Vorhang. So kann der Raum bei Bedarf zur Veranstaltungsfläche mit Bühnencharakter werden – flexibel, offen, nutzungsneutral. Auch der Turnsaal, vollverglast mit Blick ins Grüne und Oberlicht, ist in diesen Raumverbund eingebettet. So kann sich ein Gefühl von Weite entwickeln, von Schule als einem Ort, der Bewegung zulässt, nicht begrenzt. Eine wunderbare Basis für wissensdurstige Hirne, oder? Apropos Hirne und Lernen: Zentrum des pädagogischen Konzepts sind die fünf Cluster, jeweils mit vier Klassen, Freiräumen und Zusatzräumen. Jeder Cluster hat einen eigenen Zugang zur Terrasse, Tageslicht auf allen Seiten und eine eigene Farbwelt. Im Inneren öffnen sich sogenannte Lernlandschaften: offene, wohnlich gestaltete Zonen mit Nischen, Podesten, Vorhängen – zwischen Wohnzimmer, Werkstatt und Rückzugsort. Die Möblierung ist verspielt, die Materialien sind warm: Lehmputz an den Wänden, Filzpaneele als Pinnflächen, Tischler-Einbaumöbel, Spieltürme, Sitzstufen. Kein Einheitsbrei, sondern differenzierte Räume, die Individualität und Gruppendynamik zulassen. „Bei dieser Schule steckt wahnsinnig viel Liebe im Detail“, erzählt Projektleiter Martino Libisch. Und tatsächlich: Kaum eine Fläche, kaum eine Wand scheint zufällig. Alles wurde durchdacht, getestet, angepasst – mit einem Ziel: die Schule zum gemeinsamen Lebensraum zu machen.
Freiraum und Freiheit
Nach dem Unterricht beginnt der zweite Teil des Tages – mit einer eigenen Ganztagesschule, die sich nahtlos in den Gebäudekörper einfügt. Werken, Musizieren, Spielen: Die Räume sind vielseitig, hell, voller kleiner Überraschungen. In der Mitte der Ganztagszone befindet sich ein Ensemble aus Holzboxen: Regalwände, begehbare Stauraumkörper, Höhlen mit Vorhängen, Tunnel, eine Burg – Räume, die sich nicht nur funktional bespielen lassen, sondern die Fantasie anregen, Rückzug und Spiel zugleich. So entsteht ein Ort, an dem Betreuung fast wie ein zweites Zuhause wirkt. Und weil bewegungshungrige Wissensgeister zu Hause auch gerne mal in den Garten zum Spielen gehen, lag ein weiterer besonderer Fokus auf der Gestaltung des Außenraums. Der vormals zerstückelte Innenhof wurde in einen weitläufigen, grünen Schulgarten verwandelt. Hier gibt es Platz zum Rennen, Ruhen, Forschen und Gärtnern. Die zugehörigen Terrassen der Cluster sind mit Sitzstufen und Rückzugsorten ausgestattet. Eine Fluchtstiege wurde kurzerhand zum Spielturm umfunktioniert – funktional und fantasievoll. Oben auf dem Dach wartet das eigentliche Highlight: ein 1500 m² großer Forschergarten, intensiv begrünt, mit Hochbeeten, Sträuchern, Insektenhotel und Lehrpfad. Der „Rundgang durch den Garten“ führt die Kinder entlang verschiedener Stationen – ein Lernort in luftiger Höhe.
Reduce to the max
Wer von außen schaut, erkennt es nicht sofort, aber das Gebäude ist in vielerlei Hinsicht ein Pionierprojekt für Nachhaltigkeit. Statt Hightech-Überfrachtung setzt man auf einen Lowtech-Ansatz mit ökologischen Baustoffen: Ziegel, Lehm, Hanf. Die Außenwände bestehen aus 50 cm starken Hochlochziegeln, innen mit Lehm verputzt, außen mit Hanfplatten als Putzträgern belegt – das ersetzt klassische Wärmedämmung aus Styropor. Der Lehmputz verbessert das Raumklima spürbar, reguliert Feuchtigkeit und speichert Wärme. Im Inneren dominieren natürliche Materialien, wie etwa Holzlamellendecken aus Fichte, Eichenparkett, Holzeinbauten. Fürs Heizen und Kühlen sorgt ein System aus Tiefbrunnen und Photovoltaik, ganz ohne fossile Energie. Fensterspaltlüftung, Grüninseln und Bauminseln beugen Überhitzung vor. So entsteht ein Gebäude, das auch in 30 Jahren noch ein Ort ist, an dem Wissensdurst gestillt werden wird – einfach, robust und wohltuend. Einen wichtigen Beitrag leistet die Wahl der Baustoffe, die in ihrer Flexibilität und Langlebigkeit dafür sorgen, dass in der Volksschule Puntigam Wissen und Werte für viele Generationen ein Zuhause haben. Dank robuster Konstruktion, klarer Struktur und flexibler Nutzung wird es den kommenden Jahrzehnten standhalten – architektonisch wie pädagogisch. Und vielleicht ist das die wichtigste Botschaft dieses Projekts: dass Schule nicht nur angepasst, sondern neu gedacht werden kann. Als Ort der Gemeinschaft und als Plattform für Potenziale gleichermaßen. Und weil Wissen wächst und Platz braucht, ist die Volksschule Puntigam nur der erste Bauabschnitt des neuen Bildungscampus. Im zweiten Teil mit der frisch sanierten und erweiterten Mittelschule und der neuen Polytechnischen Schule startet im Herbst der Unterrichtsbetrieb.
Volksschule Graz-Puntigam, Steiermark
- Architektur: Franz&Sue
- MitarbeiterInnen: Martino Libisch (PL), Silvia Mládenková, Tomasz Przybyła, Barbara Wagner, Lica Anic, Claude Probst
- Auftraggeber: Stadt Graz/Abteilung für Bildung und Integration, GBG Gebäude- und Baumanagement Graz GmbH
- Planung: 2019–2022
- Realisierung: 2021–2022
- BGF: 6000 m²
- NGF: 5000 m²
- Auszeichnungen: BIG SEE Awards 2024 „Winner“, Iconic Awards 2023 „Winner“
- Statik: Petz ZT GmbH
- Bauphysik: Pilz und Partner ZT GmbH
- Gebäudetechnik: Ingenieurbüro Lauer-Pelzl-Stadlhofer GmbH; Ogrisek und Knopper GmbH; Bauklimatik GmbH
- Landschaftsplanung: EGKK Landschaftsarchitektur
- Brandschutzplanung: Norbert Rabl ZT GmbH