Auszeit mit Aussicht | Rubrik Massiv Innovativ
Ausgabe 2023 | Text: Christina Mothwurf, Fotos: © Paul Ott, Jens Ellensohn
Waren Sie schon mal in Dornbirn? Wenn nein, dann wird es Zeit. Mit mehr als 45.000 Einwohnern ist die größte Stadt Vorarlbergs eine lebendige Stadt, die als Wirtschaftszentrum vor allem durch die Textilindustrie bekannt wurde. Die Stadt mit viel Grünraum hat aber auch architektonisch Einiges zu bieten: Hier treffen Baustile aus verschiedenen Epochen aufeinander und erzählen eine Geschichte von mehr als dreieinhalb Jahrhunderten. Das barocke Rheintalhaus, liebevoll auch das „Rote Haus“ genannt und im Jahr 1639 erbaut, fällt durch seine mit Ochsenblut gefärbte Fassade sofort ins Auge. Gleich nebenan befindet sich die klassizistische Stadtpfarrkirche St. Martin, ein imposantes Bauwerk, das zwischen 1839 und 1840 errichtet wurde und mit seiner eleganten Schlichtheit beeindruckt. Auch das Luger-Haus, das sich gleich rechts davon erhebt, beeindruckt durch Türmchen, Erker und Fachwerke, die vom einstigen Umbau im deutschen Heimatstil zeugen. Zahlreiche Jugendstilfassaden schmücken die Straße – der Charme vergangener Zeiten verbindet sich in Dornbirn harmonisch mit dem urbanlebendigen Flair. Weiter entlang des Marktplatzes stößt man auf die Büro-Quader aus den sechziger Jahren, die eine klare Formensprache repräsentieren und den Zeitgeist dieser Ära widerspiegeln. Hier wird sichtbar, wie sich die Architektur im Laufe der Jahrzehnte verändert hat und in welcher Form die vielfältigen Einflüsse in der heutigen Messestadt zusammenfließen. Strahlend begrüßt seine Besucher mit seiner modernen Glasfassade das Bertolini-Haus und schafft als architektonisches Juwel einen modernen Kontrast zu den älteren Gebäuden.
STADTHOTEL MIT WEITBLICK
Apropos architektonisches Juwel: Ein Ort in Dornbirn, von dem aus sich die BodenseeRegion wunderbar erkunden lässt, ist das Hotel Flint. Die städtische Oase, die auf dem einstigen Areal von Josef Weiss, einem begeisterten Gastronomie-Pionier aus Südtirol, entstanden ist, wurde vom jetzigen Besitzer Walter Feurstein in ein städtebauliches Schmuckstück verwandelt. Besonders gelungen ist die harmonische Verbindung von Bestand und Neubau: Die von Marte.Marte Architekten geplante Hotelanlage mit schlankem Turm und zweigeschoßigem Sockel spricht eine klare Formensprache, in der die Baukörper durch ein homogenes, plastisches Fassadenbild in gekonnter Umsetzung von feinster Betonarbeit und versetzter Fensteranordnung überzeugen und so ein beeindruckendes Schattenspiel liefern. Ursprünglich als Metallfassade angedacht, ist übrigens auch das Wandkleid des Hotels enorm beeindruckend: Die insgesamt 11 Etagen wurden in hochwertiger Qualität als Ortbetonfassade realisiert – in dieser Ausführung eine technische Höchstleistung.
TRADITION UND MODERNE
In der Realisierung des Projekts wurde der denkmalgeschützten Villa, in der Josef Weiss einst residierte, besonderes Augenmerk geschenkt: Liebevoll restauriert, fügt sich die wiederbelebte „Villa Flint“ durch eine großzügige Öffnung in einem der Seminarräume im Erdgeschoss harmonisch in den Neubau. Insgesamt sechs Suiten wurden in der geschichtsträchtigen Villa realisiert, die größte davon besticht mit originalen Einbauten wie Täferwänden und Wandschränken – ein restaurierter Kachelofen sorgt für gemütliche Stunden und macht das Ambiente noch heimeliger. Zusätzlich erinnert ein – derzeit noch nicht bespieltes – Ladengeschäft im Hochparterre an die einstige Gaststube und schafft durch die Öffnung hin zum Bahnhof einen Zugang – nicht nur für Bahnreisende, auch für Spaziergänger, die auf einen Kaffee vorbeischauen wollen.
ENTSPANNTER WISSENSTRANSFER
Und weil es sich im Hotel Flint nicht nur wunderbar urlauben lässt, sondern auch Seminargäste oder Messebesucher ein inspirierendes Ambiente genießen sollen, bieten zwei voll ausgestattete Seminarräume den richtigen Rahmen dafür. Viel Zeit und Raum für Ruhe und Entspannung bietet der Spa-Bereich des Hotels, der den Blick auf den Innenhof freigibt. Wer nach einem spannenden Seminartag, dem Ausflug in den Bregenzerwald, einer Shoppingtour oder der Skitour im nah gelegenen Familienskigebiet Bödele so richtig ins Schwitzen kommen will, kann die Abwehrkräfte in der finnischen Sauna oder im Dampfbad stärken – und im Anschluss vom sichtgeschützten Ruheraum aus das lebendige Treiben der Stadt beobachten.
ROOM WITH A VIEW
Insgesamt 77 Zimmer erwarten im Hotel Flint ihre Gäste, jedes davon zeugt von durchdachter Flexibilität: So bieten Langzeit-Unterkünfte mit geschicktem Raumteiler und Miniküche ein stilvolles und gemütliches Übergangszuhause für all jene, die länger bleiben wollen. Aber auch die Suiten, Doppelzimmer und kompakten Zimmer mit atemberaubender Aussicht in drei Himmelsrichtungen sorgen dafür, dass man sich im Hotel Flint wie zuhause fühlt. Natürlich inklusive Komfort, der abseits vom Alltag verwöhnt: Im Haus werden die Gäste morgens mit einem reichhaltigen Frühstück versorgt, in der in die Lobby integrierte Kaminlounge kann man sich mit einem Buch oder einem Drink (oder gern auch beidem) zurückziehen und die Zeit an sich vorbeiziehen lassen. Good news für alle Leseratten, die Kindle oder Buch vergessen haben: In der kleinen Bibliothek der Kaminlounge findet sich sicher etwas. Insgesamt verleiht das Hotel Flint dem städtischen Leben der Vorarlberger Mini-Metropole eine Facette, indem es Geschichte und Moderne auf harmonische Weise verbindet. Die liebevolle Restaurierung der Villa und die durcdachte Architektur des Neubaus ergeben ein einzigartiges Gesamtkonzept.
Hotel Flint: TRADITION & GASTLICHKEIT
Szenegastronomie anno dazumal: Ende des 19. Jahrhunderts, genauer gesagt 1867, schlägt der in Bozen gebürtige Josef Weiss in Dornbirn Wurzeln. Auf einem schmalen Stück Baugrund direkt gegenüber dem Bahnhof baut er ein Wohnhaus für seine 9-köpfige Familie, bevor er 1887 im Parterre des Hauses eine Weinstube und ein Café eröffnet. Schon 1892 wird der Betrieb durch einige Zimmer im Obergeschoss zum Hotel – in den darauffolgenden Jahren entwickelt sich das Hotel Weiss zum besten Haus am Platz in Dornbirn. Nicht nur die Nähe zum Bahnhof sorgt damals für eine starke Verbindung. Neben dem Fahrkartenverkauf direkt im Hotel hat sich nämlich auch der Fahrplan dort und da an der Geschwindigkeit der Gäste orientiert: Während der eine oder andere Bahn- und Hotelgast noch an seinem „Viertele“ genippt hat, wurde kurzerhand telefonisch die Abfahrt verzögert. Was für ein schöner Grund für eine Zugverspätung, oder?
facts & figures
GEBALLTE KOMPETENZ
- Architektur: Marte.Marte Architekten ZT GmbH, Feldkirch
- Bauherr: Walter Feurstein
- Planungszeitraum: 12/2019 – 11/2020
- Ausführungszeitraum: 11/2020- 02/2023
- Nettonutzfläche: 4240 m² (davon 668 m² Bestand)
- Bebaute Fläche: ca. 794m2 Neubau
- Konstruktion: Beton mit Innen-Dämmung